Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

28.04.2004   13:05   +Feedback

Liebe Juden, lasst es sein!

Das Letzte

Ein kurzes Grußwort zur großen Antisemitismus-Konferenz der OSZE

Es ist ja nicht so, dass man mich zu einer Party prügeln müsste. Ich gehe freiwillig hin. Neulich, bei Gerhards 6o. in Hannover, war es ziemlich lustig, und auch am nächsten Tag, beim großen Veteranentreffen zum 25. Geburtstag der taz, war ich gerne dabei. Man trifft alte Bekannte, die man lange nicht mehr gesehen hat, schwatzt ein wenig und geht wieder heim, beruhigt und erleichtert, dass auch die anderen älter geworden sind.

Aber ich gehe nicht überall hin. Einladungen zur Woche der Brüderlichkeit (»Wehret den Anfängen!«) landen ungeöffnet im Papierkorb, Aufforderungen, die Kristallnacht nicht zu vergessen, ebenso. Meistens kann ich schon am Umschlag erkennen, ob es sich lohnt, die Einladung anzunehmen: Die Humboldt-Universität braucht noch ihre DDR-Papiervorräte auf, Gräfin Hardenberg dagegen benutzt feinstes Bütten-Material. Dienstags kriegen mich nicht einmal Gina Wild oder Guido Westerwelle aus dem Haus, da läuft »Sex and the City« auf PRO 7.

So war die Frage »Bleiben oder Gehen« schon entschieden, bevor das American Jewish Committee seine Einladungen für einen Empfang am Vorabend der großen Konferenz der OSZE über Antisemitismus eingetütet und verschickt hatte. Denn der Empfang sollte am Dienstagabend, 27.4., stattfinden, zugleich mit »Sex and the City«, aber ohne Carrey, Miranda, Charlotte und Semantha. Und wenn ich mich nicht irre, gabs am selben Abend noch ein fröhliches Get together aus dem gleichen Anlaß, ausgerichtet vom World Jewish Congress und der Jüdischen Gemeinde. Es muss ein wenig wie bei den Berliner Filmfestspielen gewesen sein, wo man auch von einer Party zur nächsten rast, um am Ende alle Leute noch einmal an der Theke der Lützow-Bar zu treffen.

Aber das war es nicht, was mich an der Sache irritierte. Karl Kraus hatte mal über einen Kongress zur Bekämpfung der Prostitution geschrieben, die Herren berieten, »wie sie der Prostitution und den Prostituierten zugleich auf den Leib rücken könnten«. So ähnlich kamen mir auch die Empfänge am Vorabend der großen OSZE-Konferenz über den Antisemitismus mit den Spitzenvertretern der jüdschen Spitzenverbände vor. Nur: Wem wollten Bronfman, Singer und Partner auf den Leib rücken? Dem Antisemitismus oder den Antisemiten? Wurden vielleicht große kräftige Bräute, halb Barbarella, halb Bärbel Schäfer, der Traum eines jeden Ghetto-Juden, zu den Empfängen eingeflogen, um das dröge Thema attraktiver zu machen?

Das hätte ich ja noch hingenommen, aber ich hatte eher den Eindruck, meine lieben jüdischen Mitbürger hatten ihre Hausaufgaben nicht gemacht und wollten in diesen schwierigen, trostlosen Zeiten jeden Anlass nutzen, um ein Fest zu feiern, wie Konkursverwalter im Karneval, die sich auch mal ablenken und amüsieren wollen.

Deswegen, liebe Juden, gebe ich euch einen guten Rat. Lasst es sein, es hat keinen Sinn, es bringt nichts. Ihr könnt die Pleiten diskutieren und verwalten, ihr könnt sie aber nicht verhindern. Setzt euch hin und tut das, was das Volk des Buches tun sollte: Lesen. Die Geschichte des Antisemitismus von Poliakov, die Judenfrage von Karl Marx, Altneuland von Theodor Herzl, den Eingebildeten Juden von Alain Finkielkraut, den Sartre-Essay über Juden und Judenhasser und den Ewigen Antisemiten von mir. Es gibt noch mehr wichtige Bücher zum Thema, aber das sind für den Anfang die wichtigsten. Und außerdem, meine lieben jüdischen Mitbürger, will ich Euch nicht überfordern. Wenn ihr mit diesem Grundkurs fertig seid, werde ich euch ein paar Ratschläge für Fortgeschrittene geben.

Dann werdet auch ihr begreifen. Der Antisemitismus ist nicht die Ausnahme von der Regel, die man mit ein paar sozialpolitischen und sozialpädagogischen Anwendungen wieder korrigieren kann, mit Aufklärung, Dialog und Zusamenarbeit, er ist die Regel, eine der Säulen der abendländischen Kultur und inzwischen auch in der arabischen Welt weit verbreitet. Das heißt nicht, dass alle Menschen Antisemiten sind, es heißt aber, dass fast alle Gesellschaften vom Antisemitismus kontaminiert oder für Antiseitismus anfällig sind, die einen mehr, die anderen weniger. Mel Gibson und Osama bin Laden sind Repräsentanten und Nutznießer derselben Situation, zwei Seiten derselben Münze, der eine als praktizierender Christ, der andere als militanter Moslem. Ihr könnt natürlich versuchen, mit beiden zu reden und zu argumentieren, ihnen entgegen zu kommen und mit ihnen Kompromisse zu schließen, ganz im Sinne des berühmten TV-Theologen Jürgen Fliege, der kürzlich vorgeschlagen hat, man müsse »mit den Mördern von heute über die Welt von morgen reden«; versucht es mal und sagt mir rechtzeitig bescheid, wie es geklappt hat, damit ich mich in Sicherheit bringen kann, wenn sie euch kreuzigen oder in die Luft jagen.

Was ich an euch, meine lieben jüdischen Mitbürger, am meisten bewundere, ist nicht eure Bereitschaft, Parties am Rand eines Abgrunds zu feiern, sondern eure grenzenlose Naivität. Die EU wird also ein Anti-Antisemitismus-Programm beschließen. Fein, die EU hat auch beschlossen, den Nahost-Konflikt zu lösen, vorher wollte sie schnell noch die Teilung Zyperns beenden. Mit beiden Projekten war sie so erfolgreich, dass sie sich nun mit frischem Schwung an die nächsten Vorhaben traut: Verbot der Alkoholwerbung und des Antisemitismus. Noch feiner. Ein paar hundert arbeitslose Politologen, Soziologen und Psychologen bekommen endlich eine Aufgabe. Das wird der einzige Kollateralnutzen bei der Geschichte bleiben.

Nun bin ich doch nicht in Berlin geblieben, die letzte Folge von »Sex and the City« war eine Wiederholung, die ich schon gesehen hatte. Ich habe kurzfristig einen Flug nach Island gebucht, beim Umsteigen in Kopenhagen eine Vorratspackung Anthon-Berg-Pralinees gekauft (»Plum in Madeira«) und mich nach der Landung in Keflavik gleich in die Blaue Lagune gelegt, Islands schönstes Thermalbad. Dann bin ich nach Reykjavik gefahren. Vor mir fuhr ein Mercedes mit dem Kennzeichen KZ 883 und der Fahrer sah nicht wie ein Neonazi aus, dann überholte mich ein Jeep mit dem Kennzeichen WHISKEY, und der Mann am Lenkrad machte einen sehr nüchternen Eindruck.

Schade, dass ich kein eigenes Auto in Island habe. Ich würde mir auch so ein schönes Kennzeichen machen lassen, mit JUDE oder ANTISEMIT drauf. In einem normalen Land, unter normalen Menschen würde es niemand stören. Viele liebe Grüße aus dem Hotel Klöpp in Reykjavik.

HMB, R-vik, 28.4.2oo4

Permanenter Link

Uncategorized