Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

08.03.2004   12:05   +Feedback

Dem Rafi sein Kampf

Das Letzte

Ich hatte mir ja fest vorgenommen, nie mehr was über Rafael Seligmann zu schreiben. Ich sag ja auch nix mehr zu Hella von Sinnen, Roger Willemsen und Sahra Wagenknecht. Aber wie das so ist mit den Vorsätzen – das Leben ist stärker als die gute Absicht.

Rafael Seligmann

Vor kurzem traf ich Rafael Seligmann im Zug. Wir fuhren nach Hamburg, um uns dort bei einer Pressevorführung Mel Gibsons »Die Passion Christi« anzusehen. Auf der Rückfahrt saßen wir wieder im selben Waggon. Wir plauderten ein wenig, nach ein paar Minuten zog sich Seligmann ans andere Waggonende zurück, aber nicht weil ich schlafen wollte, sondern weil er schreiben musste. Eine halbe Stunde später kam er wieder an seinen alten Platz, mit einem fertigen Artikel für die BZ, den er gerade von Hand geschrieben hatte. Den las er uns laut vor, vor allem den Schlusssatz »So einen Mist muss man sich nicht ansehen!« fand er besonders gelungen.

Ich war angemessen beeindruckt. Denn ich wusste, ich würde am nächsten Tag von morgens bis abends daheim sitzen und schreiben, während Seligmann wieder unterwegs sein würde, um die Welt zu erkunden und komplizierte Tatbestände in klare, einfache Sätze zu pressen.

Ich hatte, wie immer, Recht. Nur konnte ich nicht ahnen, dass Rafi sich diesmal selbst toppen würde. Hatte er bis jetzt nur die Umbenennung des Zentralrates der Juden in Deutschland in »Zentralrat der deutschen Juden« verlangt, um die Herzen der Deutschen zu erobern, so ging er nun einen großen Schritt weiter.

»Der in Berlin lebende Politologe und Publizist Rafael Seligmann (‘Der Musterjude’) plädiert für eine Freigabe von Hitlers Buch ‘Mein Kampf’ in Deutschland«, meldete die dpa am 5. März. »Es wäre eine Übung in Wahrheit, die vielen Legendenbildungen den Boden entzieht, sagte der jüdische Autor in einem dpa-Gespräch. Jeder könne sich in diesem Buch über die frühen und konsequenten Absichten Adolf Hitlers zur Vernichtung der Juden und der Eroberung des Ostens ein Bild machen.«

Nun ist es in der Tat so, dass es bis jetzt kaum Literatur über Hitler und das Dritte Reich gibt. Allan Bullock hat sich an das Thema nicht gewagt, Joachim Fest hat geschwiegen und Sebastian Haffner ist auch nichts eingefallen.

Deswegen muss »Mein Kampf« unbedingt wieder im Original aufgelegt werden, um den vielen Legenden, die sich um dieses Buch ranken, den Boden zu entziehen. Man hat auch von den Absichten (!) Hitlers zur Vernichtung der Juden und der Eroberung des Ostens kaum etwas lesen können. Da gibt es also einen enormen Nachhol- und Handlungsbedarf, den wir nicht einmal bemerkt hätten, wenn uns Seligmann darauf nicht aufmerksam gemacht hätte. Aber Rafi will mehr, ihm kommt es auf die finale Belastungsprobe an.

»Die Deutschen haben seit mehr als einem halben Jahrhundert ihre demokratische Gesinnung bewiesen. Sie sind reif, diesem Machwerk zu widerstehen. Über dieses Buch wird auch viel geschwätzt, weil die meisten es nicht kennen.«

Sagt Seligmann und redet wie ein Sozialarbeiter, der meint, seine Jungs hätten sich lange nicht mehr um den Verstand gesoffen, deswegen könnte man ihnen wieder Freibier einschenken. Möglich ist aber auch, dass bei Seligmann daheim ein Barometer an der Wand hängt, das nicht den Luftdruck sondern den politischen Reifegrad der Deutschen anzeigt, eine Entwicklung, die sich stufenweise vollzog.

195o waren sie reif für die erste Pizza, 196o für die deutsche Teilung, 197o für die RAF, 198o für das private Fernsehen, 199o für die Wiedervereinigung und seit kurzem für die Lektüre von »Mein Kampf«, das meistungelesene Buch, das je in Deutschland verlegt wurde. Dabei geht es den meisten Deutschen so wie Seligmann: sie schwatzen über etwas, wovon sie keine Ahnung haben.

Die Idee, Hitler wieder unters Volk zu bringen, ist freilich nicht neu. Mindestens zweimal im Jahr macht sich irgendein drittklassiger Schauspieler, der beim Casting für GZSZ nicht angenommen wurde, mit »Mein Kampf« auf den Weg - um ein Tabu zu brechen und den Nationalsozialismus zu demaskieren. So oft, wie dieses Tabu inzwischen gebrochen und der Nationalsozialismus demaskiert wurde wurde, kann nicht einmal Harry Potter zaubern. Aber für ein paar Zeilen im Sommerloch, gleich neben dem Ungeheuer von Loch Ness, oder eine kleine dpa-Meldung zur Karnevalszeit reicht es allemal.

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Dabei hat Rafi den richtigen Punkt noch immer nicht getroffen. Es genügt nicht, »Mein Kampf« wieder aufzulegen. Das machen schon die Araber, zusammen mit den »Protokollen der Weisen von Zion«. Man muss das Buch ganz neu präsentieren, mit einem Vorwort von Rafael Seligmann. Das wäre der Höhepunkt der deutsch-jüdischen Symbiose. Und ein wunderbarer Eintrag im Verzeichnis der lieferbaren Bücher: »Hitler/Seligmann: Unser Kampf«.

PS.: Da Rafi schon dreimal Schmock der Woche war, kann er nicht wieder nominiert werden. Aber er wird der Erste sein, der einen Extra-Schmock für sein Lebenswerk bekommt - wie vor ein paar Tagen Howard Carpendale den »Echo«.

08.03.2004

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